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zeit
One of the most successful, and influential, futurists of our time was Alvin Toffler.
„Das Leben ist ein fortwährendes Ringen in der Zeit.“ Marcel Proust
Maksim Pasynkov
Doctoral Researcher, Department of Education University of Turku (Finland)
Ich habe mit Maksim gesprochen und dabei hat mich etwas interessiert:
1. Das Ziel der Bildung in einer sich verändernden Welt. Wenn wir über Pädagogik oder Erziehung nachdenken, haben wir oft die klassische Vorstellung im Sinn: Bildung ist in erster Linie die Weitergabe von Wissen und Erfahrungen von der älteren an die jüngere Generation. Heute erscheint dieses Verständnis jedoch unzureichend. Wie würden Sie das Ziel der Bildung in der heutigen Zeit formulieren, insbesondere unter Berücksichtigung der aktuellen Herausforderungen?
2. Vorbereitung auf die Zukunft und die Rolle von Alvin Toffler. Ich interessiere mich für das Phänomen Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit der Zukunft. Inwieweit ist es Ihrer Meinung nach überhaupt möglich, Kinder auf eine unbekannte Zukunft vorzubereiten? Und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Zukunftsforscher Alvin Toffler?
3. Die Studie „Generationen der Zukunft”. Sie haben erwähnt, dass sich Ihre wissenschaftliche Arbeit mit dem Thema „Generationen der Zukunft” befasst. Welche konkreten Fragen stehen im Mittelpunkt Ihrer Forschung und worauf konzentriert sich Ihr wissenschaftliches Interesse?
Maxim hat sich die Zeit genommen, meine Fragen zu beantworten:
1. Das Ziel von Bildung in einer sich wandelnden Welt
Während Bildung im Industriezeitalter vor allem als Prozess des Wissenserwerbs und der Weitergabe kultureller Erfahrungen verstanden wurde, reicht dies heute nicht mehr aus. Wir leben in einer Zeit des beschleunigten Wandels, in der Wissen schnell veraltet und es oft keine vorgefertigten Lösungen gibt. Daher besteht das Ziel der Bildung heute meiner Meinung nach weniger in der Vermittlung von Wissen als vielmehr in der Förderung der Fähigkeit zum kontinuierlichen Lernen, zur Kommunikation und zum gemeinsamen Handeln. Dabei sind Fähigkeiten zur Analyse, Interpretation und Verarbeitung von Informationen wichtig, ebenso wie die Fähigkeit, in komplexen und unvorhersehbaren Situationen zu handeln, Zusammenhänge zu erkennen und Strategien für das eigene Handeln zu entwickeln.
In diesem Zusammenhang sind die Ideen von Lew Vygotsky und John Dewey relevant. Vygotsky betonte die soziale Natur des Lernens: Der Mensch entwickelt sich durch die Interaktion mit anderen und genau in dieser Interaktion bildet sich die Denkfähigkeit heraus. Dewey sah Bildung als ein Leben an sich und nicht als Vorbereitung auf das Leben. Die Schule ist keine Fabrik zur Produktion von Wissen, sondern ein Ort, an dem der Mensch lernt, zu denken, zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Meiner Meinung nach werden diese Ideen durch die moderne Welt noch aktueller: Bildung sollte Menschen dabei helfen, Subjektivität zu erlangen und in offenen, dynamischen und oft krisenhaften Situationen zu handeln.
Dabei liegt der Schwerpunkt der heutigen Bildung deutlich auf Wissenschaftlichkeit und Analytik. Die moderne Schule betrachtet die Bildung eines ganzheitlichen und harmonischen Menschen jedoch nach wie vor selten als ihr Ziel. Gerade unter den Bedingungen globaler Unsicherheit sind jedoch die Stabilität der Persönlichkeit und die Fähigkeit, sich um den eigenen Körper, die eigenen Emotionen und den eigenen Geist zu kümmern, von entscheidender Bedeutung. Bildung sollte nicht nur Fähigkeiten und Kompetenzen vermitteln, sondern auch die Gesundheit stärken (oder zumindest nicht beeinträchtigen), das kreative Potenzial entfalten, die Fähigkeit, Kunst zu erleben, fördern und die eigene schöpferische Erfahrung ermöglichen. In diesem Sinne besteht das eigentliche Ziel der Bildung heute darin, die Entwicklung glücklicher, innerlich ausgeglichener Menschen zu fördern, die in der Lage sind, in einer komplexen und unvorhersehbaren Zukunft zu leben und zu handeln.
2. Vorbereitung auf die Zukunft und die Rolle von Alvin Toffler
Wenn wir uns Fragen zur Zukunft stellen, denken wir oft in linearen Zeitkategorien. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Genauso sind die meisten Bildungssysteme aufgebaut – sowohl organisatorisch (Jahreszyklus) als auch inhaltlich (viele Kurse sind chronologisch nach dem Entwicklungsstand des Stoffs aufgebaut). Diese Linearität vereinfacht die Organisation: Lehrpläne sind als Abfolge von Kursen aufgebaut und Altersübergänge erfolgen in Klassenstufen. Diese Vereinfachung führt jedoch dazu, dass die Zukunft als einheitlich und vorbestimmt betrachtet wird, obwohl offensichtlich ist, dass es nicht nur eine Zukunft gibt, sondern viele mögliche Szenarien. Es gibt eine wahrscheinliche Zukunft, eine gewünschte Zukunft und alternative Verläufe, die von vielen Faktoren abhängen. Und genau diese Variabilität in Bezug auf die Zukunft fehlt in der Bildung kategorisch.
Alvin Toffler, den ich als einen der interessantesten Zukunftsforscher und Denker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehe, warnte bereits vor der digitalen Revolution vor dem „Schock der Zukunft“. Damit bezeichnete er einen Zustand der Überlastung, in den Menschen aufgrund zu schneller sozialer und technologischer Veränderungen geraten. Er betonte, dass die Schule vom industriellen Typ die Vergangenheit reproduziert und Menschen auf Berufe vorbereitet, die es so in Zukunft nicht mehr geben wird oder die sich radikal verändern werden. In seinem Buch „Die dritte Welle“ beschreibt Toffler den Übergang von der industriellen zur Informationsgesellschaft und stellt klar, dass Bildung Menschen auf ein Leben in einem Umfeld des ständigen Wandels vorbereiten muss.
Wenn man Tofflers Logik folgt – und das scheint mir notwendig zu sein –, dann bedeutet Zukunftsvorbereitung nicht das Erlernen vorgegebener Fähigkeiten, sondern die Entwicklung der Fähigkeit, sich anzupassen, Neues zu lernen, Veränderungen kritisch zu reflektieren und Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen. Das heißt, Bildung muss Kindern beibringen, in „multiplen Zukünften” zu leben. In diesem Sinne besteht die Hauptaufgabe von Schule und Universität also nicht darin, die Zukunft „vorherzusagen” und fertige Rezepte zu liefern, sondern die Menschen mit Instrumenten auszustatten, die ihnen helfen, mit dem „Schock der Zukunft” umzugehen und ihn in eine Ressource für Entwicklung und Schöpfung zu verwandeln.
3. Studie „Generationen der Zukunft”
Mein Forschungsinteresse konzentriert sich auf die Frage, wie Bildungseinrichtungen – Schulen und Universitäten – ihre Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen verstehen. Auf den ersten Blick scheint es offensichtlich, dass Bildung auf die Zukunft ausgerichtet ist, da sie Kinder und Jugendliche schließlich per Definition auf das zukünftige Leben vorbereitet. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die tatsächlichen Strategien und Prioritäten von Bildungseinrichtungen oft einer kurzfristigen Logik unterliegen: den Anforderungen des Marktes, Bewertungsindikatoren, den Erwartungen von Eltern und Spendern sowie finanziellen Erwägungen. Dies führt zu Spannungen zwischen der erklärten Mission, „auf die Zukunft vorzubereiten”, und der tatsächlichen Praxis, die (insbesondere) auf kurzfristige Ziele ausgerichtet ist.
In meiner Studie möchte ich verstehen, wie Universitäten und andere Bildungseinrichtungen „zukünftige Generationen” in ihren strategischen Plänen berücksichtigen. Gibt es Mechanismen, die es ihnen ermöglichen, die Interessen derer zu berücksichtigen, die noch nicht einmal geboren sind? Wie gelingt es ihnen, den Spagat zwischen dem Druck kurzfristig orientierter Stakeholder und der Notwendigkeit langfristiger Verantwortung zu meistern? Diese Fragen stehen in direktem Zusammenhang mit der breiteren Debatte über intergenerationelle Gerechtigkeit, die sich in der politischen Theorie aktiv entwickelt. In Deutschland wird beispielsweise die Idee der politischen Vertretung künftiger Generationen diskutiert. Wer kann in ihrem Namen sprechen und wie? Im Bildungsbereich steht diese Diskussion jedoch noch am Anfang.
Natürlich gibt es Länder, in denen das Thema Zukunft und zukünftige Generationen, insbesondere im Bildungsbereich, aktiver diskutiert wird. Finnland, wo ich derzeit studiere, ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, da auf staatlicher Ebene Programme zur vorausschauenden Regierungsführung (Anticipatory Governance) entwickelt werden, die sich auf Zukunftsszenarien stützen. Einige Universitäten wenden diese Praktiken bereits an. Insgesamt ist das Thema zukünftiger Generationen in den meisten Ländern jedoch noch nicht zum Mainstream der Bildungspolitik geworden. Ich bin jedoch überzeugt, dass der Klimawandel, der technologische Wandel und das wachsende Bewusstsein für Nachhaltigkeit zunächst die Universitäten und dann auch die Schulen dazu zwingen werden, ihre Mission zu überdenken und neue Formen der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen zu entwickeln.



